Im Vierklang der Wertschöpfungskette von Landwirt, verarbeitender Industrie, Handel und Verbraucher sind Bauern das schwächste Glied der Kette. Gefolgt von den Konsumierenden, die zu oft bevormundet werden: Mitspracherecht? Fehlanzeige! Der Preis, so die übliche Antwort der Supermarktketten, sei diktiert durch den globalen Markt, Angebot und Nachfrage und nicht zuletzt durch den Verbraucher, der angeblich möglichst billig, euphemistisch ausgedrückt „preiswert“, einkaufen möchte. In der aktuellen fixen Rollenverteilung muss die Produkt-Qualität sich dem Preisdruck unterordnen. Sowie viele Betriebe, die zu einem ständigen Überlebenskampf bzw. zur Aufgabe gezwungen werden. Die 2019 gegründete Initiative „Du bist hier der Chef!“ will hier Abhilfe schaffen und wurden soeben mitsamt ihren Partnern als Sieger des Fairness-Preises 2020 in der Kategorie „Molkereiprodukte“ prämiert. „Die Initiative empfinde ich als eine sehr zeitgemäße Art und Weise, um Kundenwünsche einfach mit einzubinden“, erklärte Dr. Jens van Bebber, Landwirt aus Bodenkamp-Samern und Laudator der Kategorie.
Dem Verbraucher die Kontrolle über seine Ernährung zurückgeben
Denn was wäre, wenn Erzeuger und Konsumenten, die sich an beiden Enden der Wertschöpfungskette eigentlich gleichberechtigt gegenüberstehen, sich zusammenschließen und Handel und Industrie zu einer fairen Partnerschaft und damit zu einer neuen Rollenverteilung auf Augenhöhe einladen würden? Mit dem Ziel, Verbrauchern die Kontrolle über ihre Ernährung zurückzugeben, Landwirten faire Preise am Markt zu ermöglichen und Industrie und Handel die Chance zu geben, ihre Sortimente fairer und transparenter zu gestalten. „Damit faire Produkte nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel werden“, so Nicolas Barthelmé, Mitgründer der Verbraucher-Initiative „Du bist hier der Chef! Die Verbrauchmarke“.
Erfolgreicher Produktfragebogen
Genauso ist die Verbraucher-Milch als erstes Chef-Produkt entstanden. Die Fragen des Produkt-Fragebogens wurden allesamt von Verbrauchern, Landwirten und einer Molkerei zusammen entwickelt: Beispielsweise: Dürfen die Kühe auf die Weide oder: Was wird den Tieren verfüttert und woher kommen die Futtermittel? Wie fair sollen Landwirte entlohnt werden? Auch die Preisberechnung wurde zusammen abgestimmt, damit ein sowohl qualitatives als auch fair kalkuliertes Produkt entstehen kann. „Endlich können wir Landwirte Schulter an Schulter mit dem Verbraucher Produkte kreieren. Und zusammen zeigen, dass höhere Preise möglich sind“, so Sven Lorenz, Vorsitzender der Milcherzeugergemeinschaft Hessen e.V., der die Initiative seit Beginn begleitet und die Chef-Milch auf seinem Hof produziert.
Auf Handelsseite entschied sich Rewe als erste Handelskette dafür, neue Ansprechpartner – die Konsumenten und Landwirte – am Verhandlungstisch zu akzeptieren. Und mit der Listung ein Zeichen für Fairness und Wertschätzung zu setzen. „Ich habe wirklich zum ersten Mal erlebt, dass der Verbraucher beim Listungsgespräch mit dem Handel Partei für uns Landwirte ergreift!“ so Lorenz weiter.
Die faire Bio-Weidemilch wurde mit einem unverbindlich empfohlenen Verkaufspreis von 1,45 € pro Liter von knapp 10.000 Konsumenten gewählt. Sie wird von aktuell 15 Betrieben aus Nordhessen produziert und von der Upländer Bauernmolkerei getrennt erfasst und verarbeitet.
Höchster Milchpreis für Landwirte ist garantiert
Seit Sommer 2020 ist sie bei fünf Handelsketten (Rewe, Alnatura, Hit, tegut und Wasgau) regional erhältlich. Und garantiert den Landwirten den aktuell höchsten Milchpreis Deutschlands (58 Cent netto). „Die direkte Zusammenarbeit mit Verbrauchern war für uns als Molkerei neu und spannend. Auch mitzuerleben, wie der Schulterschluss zwischen Bauern und Konsumenten die Spielregeln der Zusammenarbeit mit dem Handel verändern konnte“, so Karin Artzt-Steinbrink, Geschäftsführerin der Upländer Bauernmolkerei.
Faire Preise und Partnerschaften sind also doch möglich! Und sie bringen erfolgreiche Produkte hervor, wenn alle Beteiligten ihre Hausaufgaben erledigen: die Landwirte produzieren nach Verbraucher-Wunsch, die Molkerei organisiert die separierte Erfassung der Höfe und verarbeitet die Milch, der Handel macht die Produkte verfügbar und unter seinen eigenen Kunden bekannt, die Verbraucher greifen zu und unterstützen damit das System, das sie von Anfang an mitbestimmt und mitentwickelt haben: „Eine neue Win-Win-Win-Win-Situation für alle Beteiligten!“
Die junge Initiative mit mehr als 950 Vereinsmitgliedern wurde damit bereits zum zweiten Mal ausgezeichnet. Schon im Herbst 2020 hat „Du bist hier der Chef!“ den Hessischen Gründerpreis in der Kategorie „Gesellschaftliche Wirkung“ gewonnen. „Die beiden Auszeichnungen sind eine wichtige Bestätigung unseres Engagements – Schritt für Schritt wollen wir so Fairness und Nachhaltigkeit sowohl im Handel als auch bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern stärken“, so Barthelmé abschließend.
Über den Fairness-Preis
Die Lebensmittel Praxis, das Magazin der Ernährungsbranche, und top agrar, das auflagenstärkste Fachmagazin der Landwirtschaft, haben gemeinsam das neue Siegel-Projekt „Faire Partner – Bauer/Hersteller/Händler“ ins Leben gerufen und jetzt die Sieger gekürt. Im Rahmen der Aktion „Fairness-Preis“ wurden Vermarktungskonzepte, Produkte und Kooperationen gesucht, die zeigen, wie Landwirte und ihre Abnehmer Hand in Hand und auf Augenhöhe zusammenarbeiten.