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Algen: Nachhaltige Lebensmittelzusätze und Verpackungsmaterial

Ein EU-Forschungsprojekt mit Beteiligung der Uni Hohenheim sucht nach neuen, nachhaltigen Lebensmittelzusätzen und Verpackungsmaterialien aus Algen und Seegräsern. Während Algen der Industrie schon heute als Rohstoffquelle dienen, lassen sich auch Vorzüge im Lebensmittelbereich finden – sowohl als Lebensmittelzusatz wie auch als nachhaltigere Verpackung. Da die gängigen Extraktionsverfahren noch sehr ineffizient sind, fördert das EU Forschungsprojekt BIOCARB-4-FOOD die Suche nach nachhaltigeren Prozessen für die Gewinnung von den nötigen Kohlenhydraten aus Makroalgen – großen Algenarten – und Seegras. Die Fragen: Wie können diese Stoffe aus dem Rohmaterial gewonnen werden? Und: Wie lassen sich auch Rückstände der Extraktion nutzen.

Algen sind eine vielfältig nutzbare Ressource

„Wir suchen nach alternativen natürlichen Ressourcen wie Algen und Meerespflanzen. Nicht nur weil sie im Überfluss vorhanden sind, sondern auch weil sie eine große Anzahl potenziell interessanter Verbindungen aufweisen“, erklärt Dr. Amparo Lopez-Rubio vom Institut für Agrochemie und Lebensmitteltechnologie (IATA-CSIC) in Valencia, Spanien, und Koordinatorin des Projekts BIOCARB-4-FOOD.

„Schon heute erwirtschaftet die Algenindustrie weltweit einen Umsatz von ca. 7,4 Milliarden Dollar (rund 6,3 Milliarden Euro) ‒ mit steigender Tendenz. Denn aufgrund ihrer besonderen physikalisch-chemischen und biologischen Eigenschaften wächst auch das Interesse der Lebensmittel- und Pharmaindustrie an Verbindungen, die aus Algen gewonnen werden“, erläutert Dr. Nadja Reinhardt vom Forschungszentrum für Bioökonomie der Universität Hohenheim, das die Kommunikation zu dem Projekt übernommen hat.

So sollen in einer Teilaufgabe von BIOCARB-4-FOOD neuartige Extrakte gewonnen werden, die als Lebensmittelzutaten verwendet werden können – weit über den Einsatz als Gelier- oder Verdickungsmittel hinaus. Denn aufgrund der spezifischen Eigenschaften dieser Algen-Kohlenhydrate sehen die Wissenschaftler das Potenzial, sie als smarte Verpackungsmaterialien einzusetzen.

Algenwald
Die Universität Hohenheim forscht seit Jahren zur Verwendung von Algen u. a. als Zutat für Lebensmittel.

Potenzial besser ausschöpfen ‒ für mehr Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit

Derzeitige Verfahren zur Kohlenhydratgewinnung aus Algen sind ineffizient, die Verarbeitungszeit als auch den Wasser- und Energieverbrauch betreffend. Darüber hinaus wird die verbleibende Biomasse ‒ in der Regel viel mehr als 50 % des Ausgangsmaterials ‒ als Kompost verwendet oder einfach als organischer Abfall entsorgt.

Kernaufgabe im BIOCARB-4-FOOD-Projekt ist es deshalb, neuartige, umweltfreundliche und effizientere Extraktionsmethoden wie Ultraschall, Mikrowellen und Enzyme zu erforschen und zu kombinieren, um den Prozess zu optimieren und: die Ressourceneffizienz zu verbessert. So könnte die nach der Extraktion verbleibende Biomasse, die immer noch reich an bioaktiven Verbindungen ist, zur Gewinnung von Kohlenhydraten und Fasern wie Zellulose und Nanozellulose genutzt werden.

Dabei haben die Forschenden die bereits kommerziell genutzten Meeresalgenarten wie auch bislang wenig bis gar nicht verwendete Rohstoffe wie zum Beispiel Seegras im Blick. Die effizientere Rohstoffnutzung soll dazu beitragen die Wettbewerbsfähigkeit von Algen-, Seetang-, Lebensmittel- und Non-Food-Unternehmen in der EU zu verbessern.

Abschließend werden die entstandenen Produkte auf ihre Eigenschaften wie Struktur, Bioaktivität, Toxizität und technologische Verwendbarkeit untersucht und über eine Ökobilanz (Life Cycle Assessment) die Nachhaltigkeit der Verfahren überprüft.

Vielversprechende Ergebnisse

Die bisherigen Ergebnisse von BIOCARB-4-FOOD sind vielversprechend. Versuche mit der Mittelmeer-Rotalge Gelidium sesquipedale zeigen, dass sich die Agar-Gewinnung wesentlich vereinfachen ließe, wenn eine Heißwasserbehandlung mit Ultraschall kombiniert würde. So könne man die Extraktionszeit zu üblichen Methoden um das Vierfache verkürzen – und dies ohne die Extraktionsausbeute wesentlich zu beeinträchtigen.

Durch die kürzeren Extraktionszeiten und die bessere Ausbeute werden nEmissionen und Kosten gesenkt: Erste Berechnungen zeigen, dass der ökologische Fußabdruck für die Agar-Produktion insgesamt auf rund ein Fünftel sinkt.

„Leider konnten wir dies bisher aber nur im Labormaßstab testen,“ bedauert Dr. Lopez-Rubio. „Die beteiligten Unternehmen in unserem Konsortium arbeiten an einem Upscaling. Damit lassen sich im Labor erzielte Ergebnisse auf die industrielle Produktion übertragen.“

Aus Algen gewonnene Kunststoffe

Die meisten Lebensmittel, die wir heute konsumieren, sind in Plastik verpackt – mit den bekannten Problemen. Der aus  der begrenzten Ressource Erdöl gewonnene Stoff hat große Auswirkungen auf die Umwelt, da die Zersetzung oft mehr als 400 Jahre dauert. Sogar sogenannter kompostierbarer Kunststoff, z. B. aus Stärke, benötigt höhere Temperaturen oder höhere Feuchtigkeit zur Zersetzung als es unter natürlichen Bedingungen der Fall ist. Aus diesem Grund beschäftigen sich die Forscher von BIOCARB-4-FOOD mit nachhaltigeren Lebensmittelverpackungen auf Algenbasis.

Dr. Lopez-Rubio erklärt: „Wir müssen nach alternativen Rohstoff-Quellen suchen, die nicht mit der Lebensmittelproduktion konkurrieren. Dies ist der Grund, warum marine Ressourcen wie Algen und Seegras sehr interessant sind. Sie vermehren sich sehr schnell, wachsen in einer Vielzahl von Umgebungen und beeinträchtigen als alternative Biomassequelle für Biokunststoffe nicht die Nahrungsmittelproduktion.“

Sogar die Überreste von industriellen Extraktionen lassen sich als Zellulose und Nanozellulose für biologisch abbaubare Verpackungsmaterialien einsetzen. Das haben Forscher bereits erfolgreich getestet.

Neue Extraktionsverfahren führen zu nachhaltigeren Verpackungen

Industriell werden meist hoch gereinigte Agar-Extrakte eingesetzt, was mit einem hohen Verbrauch an Chemikalien verbunden ist. Die Reduzierung der Reinigungsschritte senkt den Chemikalienverbrauch und schafft Produkte mit neuen Eigenschaften, da z.B. Proteine oder polyphenolische Verbindungen in den Ausgangsstoffen verbleiben.

Weniger gereinigte Agar-Extrakte aus G. sesquipedale verfügen dadurch über zusätzliche Funktionen, wie antioxidative und antimikrobielle Eigenschaften, die sie für verschiedene Lebensmittelanwendungen interessant machen: Kunststoff-Folien, hergestellt aus diesen Extrakten, setzen bioaktive Substanzen frei und können damit zur Lebensmittelkonservierung beitragen, indem sie zum Beispiel das Verderben von Früchten verlangsamen.

Darüber hinaus können diese Folien eines der Haupthindernisse für die Verwendung von Agar in der Lebensmittelverpackungsindustrie beheben. Sie sind wesentlich widerstandsfähiger gegenüber Feuchtigkeit als Folien, aus hoch gereinigtem Agar.

Biokunststoffe aus unerwünschtem Seegras-Abfall – teilweise besser als solche aus Erdöl

Eine gute Verwertungsmöglichkeit zeichnet sich auch für die Abfälle des im Mittelmeer heimischen Neptungrases (Posidonia oceanica) ab. Diese Pflanze sammelt sich zum Teil massenweise an den Stränden an, was zu negativen Auswirkungen auf den Tourismus und hohen Beseitigungskosten für die betroffenen Gemeinden führt.

Die Inhaltsstoffe dieses Posidonia-Abfalls besitzen jedoch ein großes Potenzial für die Entwicklung von biologisch abbaubaren Verpackungen, was auch durch ein eigenes Patent untermauert wird: Sie sind eine hervorragende Quelle für sogenannte Lignozellulose. Als Additiv führt sie bei der Herstellung von Biokunststoffen auf Stärke-Basis zu einer deutlichen Verbesserung der mechanischen Eigenschaften.

Die Posidonia-Zellulose kann aber auch herkömmlichen Kunststoffen zugesetzt werden, um verschiedene wichtige Funktionen von Lebensmittelverpackungen zu verbessern, wie zum Beispiel die Gas- und Wasserdampfbarriere und thermische oder mechanische Eigenschaften. Zusammen mit einer Vielzahl von bioaktiven Substanzen in Posidonia-Extrakten, die eine hohe antioxidative Kapazität aufweisen, tragen diese Eigenschaften ebenfalls dazu bei Lebensmittel länger frisch zu halten.

Mikroalgenpulver zur Wurstherstellung, Bildquelle: Universität Hohenheim / Astrid Untermann