Keine Frage. Der Einzelhandel steht momentan mehr denn je im Fokus der Gesellschaft. Nachrichten von Hamsterkäufen, fehlendem Toilettenpapier und leeren Regalen gehören nach wenigen Tagen fast schon zum Alltag. Zum Alltag vieler im Einzelhandel tätiger Akteure gehört mittlerweile aber auch das: Der Kampf gegen Fake News und den Umgang mit Kunden, bei denen allem Anschein nach die Nerven derart blank liegen, dass sie auch vor Drohungen und Beschimpfungen nicht zurückschrecken. Wir sprechen heute über die Menschen, die in diesen Tagen permanent ihr Bestes geben und an den Zusammenhalt und die Besonnenheit der Kundinnen und Kunden appelieren. Von Solidarität, Fake News und blanken Nerven: eine Momentaufnahme des Einzelhandels in Zeiten der Corona-Krise.
Wenn Vorsorge missverstanden wird
Marcel Schmidt vom Nah und Gut-Markt mit Filialen in Bockau und Sosa im Erzgebrige meinte es fürsorglich. „Wir möchten Sie im Interesse unserer Mitarbeiter und anderer Kunden bitten, vom persönlichen Einkauf abzusehen, sollten Sie grippeähnliche Symptome aufweisen“, schrieb er am Freitagabend auf Facebook, „und bitten Sie stattdessen einen Verwandten oder Freund, den Einkauf zu erledigen.“ Hinter diesem Aufruf steht die Sorge um die eigene Belegschaft. „Wir sind diejenigen, die versuchen, Ihre Versorgung aufrechtzuerhalten. Dazu brauchen wir gesunde Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.“ Ein verständlicher Appell. Der abschließende Zusatz, dass sich die Marktleitung vorbehält, Kunden zum Schutz der Mitarbeiter des Geschäftes zu verweisen, hat trotz der Bitte um Verständnis für „diese krassen Maßnahmen“ bei einem Leser zu einer wütenden Reaktion geführt. Er drohte mit rechtlichen Schritten gegen die seiner Meinung nach stattfindende Diskriminierung.
Schmidt betont Solidarität im Team und innerhalb der Kundschaft
Der Vorwurf der Diskriminierung trifft Marcel Schmidt hart. „Ich möchte betonen, dass unser Team gerade absolut alles gibt“, stellt er fest, „auch die Eltern mit kleinen Kindern ziehen hier voll durch und versuchen nach Leibeskräften, dem Ansturm der Kunden Herr zu werden.“ Dass ihm dieser Einsatz und sein Bemühen um den Schutz der Belegschaft – und letztendlich ja auch der anderen Kunden – den Vorwurf der Diskriminierung einträgt, kann er nicht nachvollziehen.
Zumal er auch gegenteilige Erfahungen gemacht hat. Am gestrigen Tage entschied Schmidt, einen kostenlosen Lieferservice einzurichten. Und zwar für ältere Menschen, die laut Robert-Koch-Institut zur so genannten Risikogruppe gehören und angehalten werden, ihren Einkauf nicht mehr selbsttätig zu erledigen. Bereits heute fanden sich aus der Kundschaft mindestens fünf freiwillige Fahrer, die sich zu diesem Unterfangen bereit erklärt haben. „Das ist ein fantastisches Zeichen der Solidarität bei uns vor Ort, für die ich mich bei unseren Kundinnen und Kunden ganz explizit bedanken möchte“, freut sich Marcel Schmidt dann auch. Und ergänzt, dass dies allemal produktiver sei, als sich wegen vermeintlicher Diskriminierung aufzuregen und in einer Zeit mit rechtlichen Schritten zu drohen, in der lieber Verantwortung übernommen werden sollte.
Fake News schüren Ausmaß an Hamsterkäufen
Quer durch die Republik kämpfen die Einzelhändler mit Fake News, die von Menschen in die Welt gesetzt werden, deren Beweggründe einfach nur schändlich und kontraproduktiv sind. Bei aller Neutralität der Berichterstattung. So werden beispielsweise falsche Öffnungszeiten in Umlauf gebracht. Viele Märkte sehen sich also gezwungen, im ohnehin überfrachteten Alltag Gegendarstellungen zu veröffentlichen. Außerdem schüren solche Falschnachrichten auch die Flut an Hamsterkäufen. Menschen werden zunehmend eingeschüchtert und geraten in Panik. Das wiederum führt zu einem Einkaufsverhalten, das das glatte Gegenteil von Solidarität darstellt.
De facto herrscht kein Versorgungsnotstand
Die Hamsterkäufe vieler besorgter Kunden erwecken den Eindruck, dass in Deutschland eine Art Versorgungsnotstand ausgebrochen sei. Dies ist nachweislich nicht der Fall. Wie in der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung am Wochenende nachzulesen war, ergab eine Nachfrage bei den großen deutschen Händlern übereinstimmend: „Wir haben alles im Griff, die Lieferkette steht, hier und da können vorrübergehende Engpässe entstehen, aber die Versorgung ist gesichert.“ DAS müssen die Menschen wissen, damit emotionale Entladungen, wie die nachfolgende, nicht zur Regel werden.
Gesunder Menschenverstand und Besonnenheit sind das Gebot der Stunde
Trotz des physischen Abstands, den wir aus gutem Grund nun zueinander halten müssen, muss die Gesellschaft im Inneren in Zeiten wie diesen zusammenwachsen. Einkaufen mit gesundem Menschenverstand und einem Mindestmaß an Solidarität und Besonnenheit sind in dieser Hinsicht ein erster wichtiger Schritt. Viele Märkte gehen mit gutem Beispiel voran. Von Solidarität, Fake News und blanken Nerven: Wir brauchen mehr Menschen, die SOS-Tüten packen als Menschen, die sich unbegründet diskriminiert fühlen.