Ob Probleme mit der Bank, Folgen der Flutkatastrophe oder Turbulenzen auf dem Energiemarkt – 2021 wendeten sich erneut zahlreiche Verbraucher:innen hilfesuchend an die Verbraucherzentrale NRW. Mit 112 Klagen und Abmahnungen setzte sich die Organisation daneben wieder für mehr Verbraucherschutz, Transparenz und Fairness am Markt ein. Aktuell unter kritischer Beobachtung: Der unverhältnismäßig hohe Anstieg mancher Preise im Energie- und Lebensmittelbereich und seine Folgen für Verbraucher:innen.
Nach den verheerenden Auswirkungen der Flutkatastrophe in vielen Teilen von NRW dominieren seit Oktober vor allem die Energiethemen den Alltag vieler Menschen. „Energieverträge wurden gekündigt, Abschläge einseitig erhöht, überteuerte Tarife angeboten. Hier bieten wir rechtliche Hilfestellung, geben praktische Tipps für Energieeinsparung und beraten bei konkreten Problemlagen – vor Ort oder digital. Zusätzlich gehen wir juristisch gegen unlautere Machenschaften einzelner Energieanbieter vor“, berichtet Wolfgang Schuldzinski, Vorstand der Verbraucherzentrale NRW. „Der Krieg gegen die Ukraine hat die Situation auf dem Energiemarkt aktuell noch einmal verschärft. Die fossilen Energieträger werden immer teurer und sorgen für höhere Preise bei Strom und Gas und wirken sich inzwischen auch auf die Lebensmittelpreise aus. Das stellt besonders Haushalte mit geringem Einkommen vor große Probleme.“
Untersuchung ergibt große Preisunterschiede bei Energietarifen
Eine Untersuchung aller aktuellen NRW-Grundversorgungstarife für Strom und Erdgas zum Stichtag 1. Juni 2022 durch die Verbraucherzentrale belegt nicht nur die hohen Preise, sondern auch große Preisunterschiede. Wer neu in die Grund- oder Ersatzversorgung fällt, zahlt bei dem teuersten Tarif in NRW 43 Cent pro Kilowattstunde für Gas, bei dem günstigsten sind es nur 6,6 Cent. „Für einen Musterhaushalt mit einem Jahresverbrauch von 20.000 Kilowattstunden bedeutet das eine Jahresrechnung von 8.600 Euro im teuersten Tarif. Das ist 6,5 mal teurer als die 1.315 Euro, die im günstigsten Tarif bezahlt werden müssten“, erläutert Schuldzinski.
Zudem nehmen mehr als die Hälfte der Unternehmen weiterhin eine Differenzierung zwischen Neu- und Bestandskundentarifen in der Grundversorgung vor, so auch acht der teuersten zehn Gasgrundversorger in NRW. Die Mehrkosten für die Neukund:innen betragen dabei durchschnittlich 3.300 Euro pro Jahr. „Wir haben viele E-Mails und Beschwerden von Verbraucher:innen erhalten, die in die Ersatz- oder Grundversorgung gefallen sind. Sie wurden oft nur wenige Wochen beliefert und dann von einer sehr hohen Rechnung überrascht“, so Schuldzinski. „Ein günstiger Sondertarif als Alternative steht oftmals nicht zur Verfügung, denn ein Teil der Grundversorger bietet weiterhin keine Tarife jenseits der Grundversorgung an – oder der Tarif ist sogar noch teurer als die Grundversorgung.“
Bei Strom müssen Haushalte im teuersten Grundversorgungstarif für Neukund:innen aktuell 76 Cent pro Kilowattstunde zahlen, im günstigsten Tarif werden nur etwa 30 Cent fällig. Bei einem Jahresverbrauch von 3.000 Kilowattstunden bedeutet das eine Differenz von knapp 1.400 Euro.
Der Chef der Verbraucherzentrale NRW unterstreicht: „Die Untersuchung zeigt, dass manche Grundversorgungstarife deutlich vom marktüblichen Preisniveau abweichen. Diese großen Preisunterschiede werfen Fragen auf, denn sie lassen sich aus unserer Sicht nur teilweise mit denen seit Herbst 2021 gestiegenen Beschaffungskosten für Strom und Gas erklären.“
Stichprobe bei Lebensmitteln
Seit einigen Monaten ziehen auch die Lebensmittelpreise an. Eine Folge der Preissteigerungen für Energie, gestörter Lieferketten und des Krieges in der Ukraine, so die Vermutung. Doch wie bei Gas und Strom haben die Verbraucherschützer:innen auch hier etwas genauer hingeschaut. Vergleicht man die Preise, so zeigt sich, dass diese für manche Produktgruppen wie Öl, Butter oder Tomaten deutlich stärker als der Durchschnitt gestiegen sind. Eine aktuelle Stichprobe der Verbraucherzentrale NRW in vier großen Einzelhandelsketten ergab darüber hinaus große Preisunterschiede innerhalb der Produktgruppen. Die Preisspanne für Tomaten lag zum Beispiel zwischen 1,11 Euro und 22,17 Euro je Kilogramm.
„Solche eklatanten Preisunterschiede am gleichen Tag in unterschiedlichen Supermärkten lassen sich nicht alleine durch höhere Herstellungskosten, Hamsterkäufe oder die Folgen des Ukrainekrieges erklären“, erläutert Schuldzinski. „Die Stichprobe belegt, dass die Preisbildung für Lebensmittel in hohem Maße intransparent und spekulativ ist. Wir fordern daher, dass die Kartellbehörden mehr Kompetenzen erhalten, um Lebensmittelpreise zu überprüfen und mögliche Preisabsprachen zu verhindern.“ Außerdem seien die Etablierung einer Markttransparenzstelle für Lebensmittelpreise sowie ein Preismonitor, der die tatsächlichen Marktpreise von konkreten Lebensmitteln abbildet, als zusätzliche Kontrollinstrumente sinnvoll.
Existenzielle Auswirkungen von Preissteigerungen
Die Politik ist aus Sicht der Verbraucherschützer:innen auch an anderer Stelle gefordert: „Es ist absehbar, dass Verbraucher:innen mit geringem Einkommen und Empfänger:innen von Sozialleistungen die gestiegenen Lebenshaltungskosten nicht mehr ohne Unterstützung schultern können. Soziale Leistungen müssen die Mehrkosten durch die steigenden Energie- und Lebensmittelpreise realistisch abdecken. Außerdem sollten Strom- und Gassperren eingeschränkt werden, in den Wintermonaten beziehungsweise in Haushalten mit Kindern, Schwangeren oder pflegebedürftigen Menschen.“
Krise nur gemeinsam zu bewältigen
Abschließend unterstreicht Schuldzinski: „Wir befinden uns in einer Krisensituation, in der Inflation und Kriegsgefahr das Marktgeschehen irrational beeinflussen. In einer solchen Lage, sollten sich alle Marktbeteiligten verantwortlich verhalten – und zwar nicht nur die Verbraucher:innen, indem sie Energie einsparen, wo immer es möglich ist. Sondern hier sind auch die Anbieter von Energie und Lebensmitteln gefragt: Wir appellieren eindringlich an die Unternehmen, faire Preise für Verbraucher:innen zu gestalten. Bundesnetzagentur und Kartellbehörden rufen wir auf, die bereits vorhandenen Kontrollmöglichkeiten auch zu nutzen, um mögliche Mitnahmeeffekte zu verhindern.“