Die Ampelkoalition plant ein Verbot für an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt. Ein breites Bündnis aus Verbraucherschützern, wissenschaftlichen Fachgesellschaften und Gesundheitsorganisationen hat nun einen gemeinsamen Vorschlag vorgelegt. Teilverbote greifen zu kurz, so das Bündnis.
Gemeinsamer Policy Brief nennt Punkte zum Werbeverbot
Der AOK-Bundesverband, der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und das Wissenschaftsbündnis Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) fordern zum Schutz von Kindern und Jugendlichen umfassende Werbebeschränkungen für ungesunde Lebensmittel. Influencer-Werbung für Ungesundes sollte die Bundesregierung laut des veröffentlichten Positionspapiers komplett untersagen. Für TV, Streaming und Radio spricht sich das Bündnis für ein Werbeverbot zwischen 6 und 23 Uhr aus. Für Plakatwerbung sollte eine 100-Meter-Bannmeile im Umkreis von Kitas, Schulen und Spielplätzen gelten. Gesunde Lebensmittel, die die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erfüllen, sollen von den Verboten nicht betroffen sein.
Politik, Verbraucherschützer, Versicherungen und Gesundheitsorganisationen einig – Adipositas-Epidemie eskaliert
In Deutschland sind etwa 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland übergewichtig, Tendenz steigend. Dr. Thomas Fischbach, Präsident des BVKJ, betont die Bedeutung des Vorhabens für die Kindergesundheit: „Schon vor Beginn der Corona-Pandemie war jedes siebte Kind in Deutschland übergewichtig. Seit etwa zwei Jahren beobachten wir in den Praxen einen deutlichen Anstieg des Körpergewichts bei Kindern. Die Adipositas-Epidemie ist geradezu eskaliert! Werbeverbote und die Förderung einer gesunden Ernährung sind daher wichtiger denn je. „SPD, Grüne und FDP hatten sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, die an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit einem hohen Zucker-, Fett- und Salzgehalt einzuschränken.
Kinder sind „Lockrufen“ in den Medien ausgesetzt
„Kinder sind tagtäglich den Lockrufen für ungesunde Lebensmittel ausgesetzt. Das begünstigt ungesunde Ernährungsmuster im Kindesalter und kann sich ein Leben lang negativ auf die Gesundheit auswirken“, erklärt Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes. „Im Sinne der Prävention ist es zielführend, die Werbung einzuschränken. Gerne unterstützen wir dieses Vorhaben mit konkreten Vorschlägen zum Wohle unserer Versicherten“, so Reimann.
Eine Studie der Universität Hamburg im Auftrag von AOK-Bundesverband und DANK hatte im vergangenen Jahr das Ausmaß der Lebensmittelwerbung in Deutschland gezeigt. Demnach sieht ein mediennutzendes Kind pro Tag 15 Werbespots oder -anzeigen für ungesunde Lebensmittel. Der Einfluss der Werbung auf das Ernährungsverhalten von Kindern gilt inzwischen als gut belegt. Untersuchungen zur Mediennutzung von 3- bis 13-Jährigen zeigen, dass diese insbesondere zwischen 6 und 23 Uhr Bewegtbildmedien konsumieren. Je älter die Kinder, desto weniger relevant werden allerdings klassische Kindersendungen. Das Bündnis fordert deshalb, dass die geplante Werberegulierung auch bei Familienformaten greifen muss.
Lebensmittelverband sieht im Brief nur die halbe Wahrheit
Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer des Lebensmittelverbands Deutschland, kritisiert, dass das steigende Problem von Übergewicht bei Kindern im GEsamtkontext zu betrachten sei. ER bestätigt die gesundheitlichen „Spuren“ – körperlich wie seelisch – der Corona-Pandemie vor allem bei jungen Menschen. Jedoch lege es seiner Meinung weniger oder nicht allein an der Werbung als an der eingeschränkten Bewegung während der Kita- oder Schulschließphasen sowie durch abgesagte Freizeitaktivitäten. „Es ist bemerkenswert, dass sowohl eine Krankenkasse als auch vermeintliche medizinische Fachgesellschaften der Meinung sind, dass sich die Problematik mit einem Werbeverbot lösen lässt. Gerade die letzten Monate haben gezeigt, wie wichtig das soziokulturelle Umfeld, Bewegungsmangel und Fehlernährung als Faktoren bei der Übergewichtsentwicklung sind. [Ein Punkt, der] in dem Positionspapier der Allianz überhaupt keine Erwähnung findet. Das Problem ist also komplex!“
Der Lebensmittelverband meint, man müsse als Gesellschaft zusammenarbeiten. Die Lebensmittelwirtschaft reduziert in vielen Lebensmitteln Zucker, Fett und Salz, nämlich da, wo es technologisch und geschmacklich sinnvoll ist. Wir haben zudem bereits umfassende Regelungen im Bereich der Werbung, die sich an Kinder richtet. Gern sind wir bereit gemeinsam mit der Politik nach weiteren konstruktiven Lösungen zu suchen.“ Niedrigschwellige und partizipative Angebote der Gesundheitsförderung sowie konkrete Aufklärung seien Ansätze.
Laut einer Umfrage des Marktforschungsinstitut INSA Consulere im Auftrag des Zentralverbands der Deutschen Werbewirtschaft aus Mai 2021 möchten übrigens 71 Prozent der befragten Mütter und Väter weiterhin über Produktneuheiten und Innovationen im Lebensmittelbereich mittels Werbung informiert werden. Gleichzeitig gab die deutliche Mehrheit der Befragten, nämlich 76 Prozent, an, dass sie sich selbst in der Verantwortung sehen, wenn es um eine ausgewogene Ernährung ihrer Kinder geht.“