Während Einzelhandelaktuell.de gestern nach der Forschung der Universitäten Aalto und Göttingen berichtete, dass Regionalität nur ein Drittel der Weltbevölkerung ernähren könnte, unterstreicht der Industrieverband Agrar diese Analyse mit der Feststellung, dass auch Deutschland bei Lebensmitteln weitgehend von Importen abhängig sei. Das bedeutet zunächst nicht, dass regionaler Handel nicht intensiver möglich wäre.
Jeder zweiter Apfel kommt aus dem Ausland
Nur bei Weizen und Gerste sowie bei Kartoffeln und Zuckerrüben ist Deutschland aktuell Selbstversorger. Von diesen landwirtschaftlichen Nutzpflanzen produzieren heimische Landwirte in normalen Jahren mehr, als im Inland verbraucht wird. Bei Ölsaaten wie Raps, vor allem aber bei den meisten Obst- und Gemüsesorten, ist Deutschland schon heute zum großen Teil auf Importe angewiesen. Selbst mehr als jeder zweite Apfel stammt bereits aus dem Ausland. Diese Importabhängigkeit steigt an, wenn in besonders schlechten Jahren die Erträge sinken. Außerdem nimmt sie zu, wenn durch die politisch gewollte Ausweitung des ökologischen Anbaus die inländische Erntemenge insgesamt zurückgeht.
Industrieverband Agrar präsentiert Berechnungen
Entsprechende Berechnungen zum Selbstversorgungsgrad (SVG) bei Acker- und Sonderkulturen hat der Industrieverband Agrar e. V. (IVA) im Rahmen seiner Jahrespressekonferenz in Frankfurt präsentiert. Dabei verglich der Wirtschaftsverband die Durchschnittserträge der vergangenen drei Wirtschaftsjahre in einer Szenario-Rechnung mit den Niveaus der historisch schlechtesten Ernten seit 1990. In einer zweiten Szenario-Rechnung wurde ermittelt, welchen Einfluss eine Ausweitung des Ökolandbaus auf 40 Prozent der Anbaufläche auf die Selbstversorgungsfähigkeit hätte.
Schlechte Jahren erhöhen Importe sogar bei Möhren und Zwiebeln auf bis zu 50 Prozent
Der aktuelle Selbstversorgungsgrad bei Weizen, so die IVA-Berechnungen, sinkt in einem maximal schlechten Erntejahr von 115 auf 98 Prozent. Bei Gerste reduziert er sich von 112 auf 98 Prozent. Bei diesen wichtigen Getreidearten ist also selbst bei (potenziell stark) verminderter Ernte nahezu eine Vollversorgung aus Deutschland noch möglich. Beliebte Gemüsesorten wie Möhren (SVG: 70 Prozent) oder Zwiebeln (SVG: 63 Prozent) weisen einen noch recht guten SVG auf. Dennoch stiege der Importanteil in schlechten Jahren auf rund die Hälfte. Lediglich bei Kartoffeln (Rückgang des SVG von 149 auf 115 Prozent) und bei Zuckerrüben (Rückgang des SVG von 140 auf 120 Prozent) produzieren deutsche Landwirte in schlechten Erntejahren mehr, als Verbraucher im Inland konsumieren.
Eine solider Selbstversorgungsgrad ist von Bedeutung, anstatt sich nur auf den Weltmarkt zu verlassen
„Bei uns schärft die Corona-Krise den Blick dafür, wie verletzbar eine Ernährungspolitik wäre, die sich allein auf die Versorgung durch den Weltmarkt verlässt. Das heißt: Wir sind, um unvorhergesehene Risiken abzufedern, angewiesen auf eine solide Grundversorgung durch eine leistungsfähige Landwirtschaft im eigenen Land. Diese benötigt Logistik, den Agrarhandel vor Ort und den verlässlichen Zugang zu einer möglichst breiten und effektiven Palette von Saatgut, Dünger und Pflanzenschutzmitteln“, kommentierte IVA-Präsident Dr. Manfred Hudetz. „Von einem regen internationalen Handel mit Agrargütern profitieren alle, und für Deutschland ist es auch nicht erstrebenswert, bei allen landwirtschaftlichen Produkten autark sein zu wollen. Aber auch wir haben eine Verpflichtung, mit unserer heimischen landwirtschaftlichen Produktion einen Beitrag zum Angebot zu leisten“, so Hudetz.
Faktor Bio: Auf gleicher Fläche bringt Bio weniger Ertrag als konventionelle Erzeugung
In einer weiteren Szenario-Rechnung wurde ermittelt, wie sich die Ausweitung des ökologischen Landbaus auf 40 Prozent der Anbaufläche auf die Selbstversorgungsfähigkeit auswirken würde (dieser Zielwert wird in einem aktuellen Gesetzentwurf in Baden-Württemberg diskutiert). Bekannt ist, dass sich bei den großen Ackerkulturen die Flächenerträge von konventioneller und ökologischer Anbauweise erheblich unterscheiden, in der Regel produzieren Bio-Landwirte auf gleicher Fläche etwa nur die halbe Menge Weizen oder Kartoffeln wie ihre konventionell wirtschaftenden Berufskollegen. Weniger groß dagegen sind die Ertragsunterschiede bei vielen Gemüsekulturen. Möhren haben im Bio-Anbau gut 80 Prozent des Ertrags im Vergleich zu konventioneller Wirtschaftsweise, und bei Zwiebeln werden immerhin zwei Drittel des konventionellen Ertrags erreicht, wie die den IVA-Berechnungen zugrundeliegenden Daten des Infoportals www.oekolandbau.de zeigen.
Selbstversorgungsgrad bei Ökolandbau stark eingeschränkt
Und so ergibt sich auch bei den Auswirkungen der Öko-Ausweitung auf die Selbstversorgungsfähigkeit kein einheitliches Bild. Klar ist: Mit den wichtigsten Getreidekulturen könnte sich Deutschland bei einem Bio-Anteil von 40 Prozent nicht mehr selbst versorgen. Der SVG von Weizen fiele auf nur noch 93 Prozent, der von Gerste auf 94 Prozent. Bei Kartoffeln wären die Ertragsrückgänge zwar auch erheblich, aber mit einem SVG von 123 Prozent deckt die Produktion den inländischen Konsum weiter ausreichend ab. Bei den meisten Gemüsekulturen wären die Auswirkungen auf den SVG dagegen weniger erheblich, zum einen, da hier die Ertragsunterschiede öko gegenüber konventionell weniger groß und die Bio-Anbauflächen schon erheblich sind, zum anderen, da diese landwirtschaftlichen Produkte schon heute zu einem großen Teil aus Importen stammen.
Die Schlussfolgerung
Kommt es schließlich nach einer Ausweitung des Bio-Anteils auf 40 Prozent zusätzlich zu Ernteausfällen wie in den schlechtesten Jahren seit 1990, so wäre nach den IVA-Berechnungen Deutschland absehbar bei keiner wichtigen Anbaukultur mehr Selbstversorger. Viele Lebensmittel müssten in erheblichem Umfang aus dem Ausland zugekauft werden.
„Entscheidungen von Politik und Behörden haben maßgeblichen Einfluss auf die Landwirtschaft der Zukunft und auf die im eigenen Land produzierten Nahrungsmittel. Wenn etwa bei Kartoffeln, die wir heute noch in großer Menge produzieren, in Zukunft Insektizide zur Bekämpfung von Blattläusen fehlen, wird der Kartoffelanbau für viele Betriebe unattraktiv. Wir sollten verhindern, dass wir selbst Produkte, bei denen unsere heimischen Landwirte führend sind, in Zukunft in größeren Mengen importieren müssen“, so Hudetz.
Details der Berechnungen stehen in einem ausführlichen Hintergrundpapier auf www.iva.de zur Verfügung.