Exzessives Essen, Aufnahme großer Nahrungsmengen innerhalb kurzer Zeit, wiederkehrende Essattacken – so äußert sich Binge-Eating. Seit 2016 haben sich die Fälle von Binge-Eating-Störungen im Saarland und in Rheinland-Pfalz fast verdoppelt – in Hessen sind es sogar mehr als doppelt so viele Fälle. Das zeigt eine Auswertung unter den Versicherten der IKK Südwest. Vor allem die coronabedingten Lebensumstände haben dazu geführt, dass viele Menschen unkontrollierter und oft ohne physischen Hunger essen. Das Schlagwort: emotionales Essverhalten.
Die Diagnosen von krankhaftem Essverhalten in Form von Magersucht, Bulimie und Essattacken sind während Corona stark gestiegen. „Insbesondere der Anstieg beim Krankheitsbild Binge-Eating ist alarmierend“, so Prof. Dr. Jörg Loth, Vorstand der IKK Südwest. „Langzeitfolgen gibt es auch und immer stärker bei den psychischen Folgeerkrankungen. Hier gibt es erheblichen Forschungsbedarf in Bezug auf die genauen, oft schleichenden Auswirkungen bei einer noch relativ neuen Suchterkrankung. Ursachen sind unabhängig der Pandemie sicherlich Stress, aber auch das Überangebot an leicht verfügbaren Suchtmitteln wie Fertignahrung und stark zuckerhaltige Lebensmittel. Auch der Einfluss der Medien bezüglich Körperbild nimmt als Ursache immer mehr zu.“
Seit 2016 haben sich die Fälle von Binge-Eating-Störungen im Saarland und in Rheinland-Pfalz fast verdoppelt – in Hessen sind es sogar mehr als doppelt so viele Fälle. Innerhalb eines Jahres (2019 auf 2020) sind die Diagnosen von Binge-Eating-Störungen in Hessen sogar um mehr als 80 Prozent, in Rheinland-Pfalz um mehr als 60 Prozent gestiegen und im Saarland über 50 Prozent.
Corona begünstigt die Zunahme von emotionalem Essen und Essstörungen
Fehlende Strukturen im Alltag, weniger Kontakt mit Familie und Freunden, Arbeiten fast nur in den eigenen vier Wänden – wo die Corona-Pandemie einerseits zwischenmenschliche Distanz schafft, entsteht durch Homeoffice gleichzeitig eine ständige räumliche Nähe zum Kühlschrank. „Viele Menschen mussten in den Lockdowns und in der damit verbundenen Zeit der Inaktivität Wege finden, die zeitliche Leere und Langeweile zu überbrücken. Da bietet sich das schnell und ständig verfügbare Essen an“, weiß Karin Benz, Gesundheitspsychologin der IKK Südwest. „Essen ist eigentlich immer mit Emotionen verknüpft – wir sind hungrig und fühlen uns unwohl, sind vielleicht sogar gereizt und nach dem Essen geht es uns besser. Zum Problem wird die Emotionalität erst dann, wenn ohne Hunger gegessen wird, um positive Emotionen auszulösen oder negative Emotionen zu überdecken.“
Essstörungen sind kein reines Frauenproblem
Krankhaftes Essverhalten betrifft auch immer mehr Männer. Verglichen mit den Zahlen des gesamten Jahres 2016 erhielten allein im ersten Halbjahr 2021 fast genauso viele männliche Versicherte die Diagnose einer Essstörung. Trotzdem leiden Frauen im Vergleich noch öfter an Essstörungen: Im Pandemiejahr 2020 haben Frauen in Rheinland-Pfalz mit rund 77 Prozent einen deutlich größeren Anteil an den Gesamtdiagnosen von Binge-Eating-Störungen als Männer. Dass Essstörungen klassischerweise öfter beim weiblichen Geschlecht auftreten, erklärt Karin Benz so: „Durch die immer noch vorherrschende Doppelbelastung von berufstätigen Frauen, die sich verstärkt auch um Haushalt und Familie kümmern, bleibt häufig wenig Zeit für Ruhe und Innehalten. Der hohe Stresspegel, der durch Multitasking und ständige Verfügbarkeit entsteht, kann durch Essen reguliert werden. Bei jungen, sehr körperbewussten Frauen kommt noch der Druck durch die sozialen Medien dazu, einem bestimmten Schönheitsideal zu entsprechen.“
Was Betroffene und ihre Angehörigen tun können
Wer an sich selbst oder bei anderen erkennt, dass das emotionale Essverhalten in eine krankhafte Richtung geht, sollte professionelle Hilfe in Anspruch nehmen – um mögliche Essstörungen wie Binge-Eating, Bulimie oder Magersucht zunächst von einem Arzt oder Psychotherapeuten abklären zu lassen. Neben Beratungsstellen können auch Selbsthilfegruppen Betroffenen weiterhelfen.