In Schlachthöfen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein sind zahlreiche Corona-Infektionen aufgetreten. Beide Länder planen nun Tests in allen Fleischbetrieben. Riskiert die Branche die Gesundheit ihrer Mitarbeiter? Und was bedeutet dieser Stresstest für die Schlachthöfe gesellschaftspolitisch?
Notfallmechanismus tritt in Kraft
Nordrhein-Westfalen hat als erstes Bundesland den erst am Mittwoch beschlossenen Notfallmechanismus bei einem gehäuften Auftreten von Coronavirus-Infektionen in Kraft gesetzt. Grundlage hierfür ist das Auftreten zahlreicher Erkrankungen bei Mitarbeitern eines Schlachthofs im Landkreis Coesfeld, sagte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann. Der CDU-Politiker nannte die Unterbringung osteuropäischer Mitarbeiter der Schlachthöfe als Problem im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Der von den Ministerpräsidenten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel vereinbarte Notfallmechanismus sieht vor, dass ab 50 Neuinfektionen in Landkreisen und kreisfreien Städten Einschränkungen gelten sollen. Durch die im Coesfelder Schlachthof festgestellten 151 Neuinfektionen ist diese Maximalgrenze nun überschritten.
Lockerungen werden zunächst verschoben
Laumann sagte, dass im Landkreis Coesfeld die eigentlich ab dem 11. Mai landesweit beschlossenen Lockerungen nicht gelten und auf frühestens 18. Mai verschoben werden. Zu den Lockerungen gehören etwa die Öffnungen von Restaurants, die Aufnahme von Teilen des Tourismus oder die Öffnung von Fitnessstudios und Musikschulen. Alleine die Coesfelder Schüler und Kita-Kinder sollen von den im ganzen Land geplanten Lockerungen profitieren. Ferner kündigte er an, dass der betroffene Schlachthof vorübergehend vollständig schließen wird. Es sollen nun alle 1200 Mitarbeiter des Betriebs getestet werden. Wenn die Testergebnisse vorliegen, könne neu über die Dauer der Beschränkungen im Landkreis entschieden werden. Außerdem ordnete Laumann an, in allen Schlachthöfen in NRW die Mitarbeiter testen zu lassen. Nach seinen Worten sind dies 17.000 bis 20.000.
Neuinfektionen auch in weiterem Schlachthof
Auch in einem weiteren fleischverarbeitenden Betrieb in NRW wurde eine hohe Zahl von Corona-Infektionen gemeldet. In Oer-Erkenschwick (Kreis Recklinghausen) hätten sich in einem Schwesterbetrieb des Coesfelder Werks 33 von 1250 Mitarbeitern mit dem Virus angesteckt, teilte Laumann mit. Als mutmaßlichen Grund für den Ausbruch nannte der Minister die Unterbringung der meist aus Rumänien und Bulgarien stammenden Schlachthofmitarbeiter. Es könne sein, dass die Hygienestandards in den Unterkünften der Mitarbeiter nicht den Maßstäben genügen, die während einer Pandemie Gültigkeit besitzen . Von daher werde es diesbezüglich zu einer Prüfung kommen.
Hat die Landwirtschaftspolitik zu lange weggeschaut?
Die neuerlichen Ereignisse rufen nicht unerwartet auch kritische Kommentatoren auf den Plan. So monierte die Rheinische Post in einem Kommentar von Florian Linke unlängst, dass die schlechten Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen seit Jahren bekannt seien. „Doch was sich bislang abseits von hin und wieder auftretenden Lebensmittelskandalen ignorieren ließ, tritt nun offen zutage. Denn plötzlich erkauft sich die Gesellschaft ihr Wegschauen nicht mit günstigen Preisen für Hackfleisch und Hähnchenschenkel – sondern mit der persönlichen Freiheit“, konstatiert Rinke in seinem Kommentar. Wahrlich ein Stresstest für die Schlachthöfe, deren übliche Praxis nun der Grund dafür sein könnte, dass die gerade stattfindenden bundesweiten Lockerungen ausgerechnet in ihrem Umfeld zu weiteren Einschränkungen des öffentlichen Lebens führen.
Den ruinösen Preiskampf beim Fleisch beenden
Der Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Freddy Adjan, sekundiert folgerichtig: „Diese Krise macht deutlich, wie überfällig es ist, auf Stopp zu drücken und den ruinösen Preiskampf beim Fleisch zu beenden.“ Über Werkverträge mit oft dubiosen Subunternehmen beschäftigte Mitarbeiter würden seit Jahren rücksichtslos ausgenutzt. Schlachthofbetreiber sollten das Schlachten aber nicht an billige Fremdfirmen auslagern dürfen. Gerade in Zeiten, in denen Tierschutz zum vorrangigen Thema des Fleischmarketings geworden ist, werden Schlachthöfe noch wichtiger. Denn: Beim Schlachten kann Tierschutz gesichert und gesteigert oder auch (zum Beispiel durch Fehlbetäubungen) kaputt gemacht werden.
Es bleibt wünschenswert, dass dieser pandemiebedingte Stresstest für die Schlachthöfe auch beim Endverbraucher für ein Mehr an nachhaltigem Bewusstsein sorgt. Und das Kaufverhalten entsprechend beeinflusst.